Digitaler Wahlkampf: Twitter und Co. unter Beobachtung

Die digitale Kommunikation hat schon längstens die Schweiz erreicht. Politikerinnen und Politiker nutzen Plattformen wie Facebook, Instagram und Twitter für den direkten Kontakt mit Wählerinnen und Wähler. Diese neuen Kanäle der Kommunikation verändern dabei einiges: wie kommuniziert wird, was kommuniziert wird, und wer mit Politik im Alltag konfrontiert wird.

Der digitale Fortschritt verändert somit die Demokratie. Doch wie genau? Es gibt bereits verschiedene Studien, welche sich mit dem Einfluss der Digitalisierung der politischen Kommunikation und des sozialen Austauschs auf die Politik beschäftigen (für einen ausführlichen Überblick, siehe Tucker et al. 2018). Für die Schweiz ist der Forschungsstand allerdings noch rudimentär. Das Digital Democracy Lab möchte dies verändern: unser Ziel ist es, die Veränderung der Demokratie aufgrund der Digitalisierung zu beschreiben und analysieren. Als Startpunkt nehmen wir die National- und Ständeratswahlen 2019: während dem Wahlkampf werden wir die Kommunikation der Politikerinnen und Politiker in den sozialen Medien und in traditionellen Medien (Zeitungen, Diskussionssendungen) dokumentieren und schliesslich auswerten.

Dieses Unterfangen ist eine Herausforderung mit vielen Facetten:

  • Die Masse an Politikerinnen und Politiker (>4000 Kandidierende bei den bevorstehenden Wahlen) verlangen einiges an Zeit, die entsprechenden Profile in den sozialen Medien auf den verschiedenen Plattformen zu identifizieren und schliesslich in die Datensammel-Prozesse einzubinden.
  • Die reine Menge an Daten, welche wir in den verschiedenen Formen und über unterschiedliche Prozesse sammeln, verlangen eine verlässliche technische Infrastruktur und Datenbank. Die Infrastruktur soll weiter auch nachhaltig und über die Dauer des Projekts hinaus nutzbar sein, sowie skalierbar auf andere Forschungsfragen.
  • Die rechtlichen Aspekte verlangen, dass wir nur das sammeln, was wir auch sammeln dürfen – nicht alles, was technisch möglich ist, ist laut den Regeln von Facebook und Co. auch erlaubt. Aus dem Grund verwenden wir verschiedene Prozesse und Instrumente, um den rechtlichen Ansprüchen gerecht zu werden.
  • Die Methoden zur Auswertung dieser Daten, häufig Textdaten, sind teilweise noch in der Entwicklung, d.h. die Risiken von wenig aussagekräftigen Modellen ist in diesem Pilotprojekt durchaus gegeben.

In den folgenden Wochen und bis zu den Wahlen werden wir deshalb regelmässig einen Einblick in diese Schritte geben. Teils sind es bereits voll ausgereifte Auswertungen, teils erste Ansätze um überhaupt einmal zu testen, was alles möglich ist mit diesen neuen Datensätzen. Beginnen werden wir nächste Woche, am Digitaltag, mit einer Übersicht der politischen Themen im Jahr 2019 in den Medien.

Twitter, Facebook und Medien im Fokus

Durch diese neuen Daten sind auch ganz andere Fragestellungen und Antworten möglich. Beispielsweise, wann denn eigentlich am aktivsten Politik betrieben wird. Viele Leute haben heute zu jedem möglichen Zeitpunkt ein Smartphone in der Nähe und sind somit unabhängig von Ort und Zeit in politischen Netzwerken unterwegs. Und das den ganzen Tag lang. Allerdings gibt es deutliche Spitzen pro Tag, also wann die meisten Tweets gepostet werden: gerade die Znüni- und Zvieri-Pause stechen klar heraus, siehe in der folgenden Grafik.

Eine solche Auswertung kratzt erst an der Oberfläche der Möglichkeiten, und hat sicher noch keine politische Relevanz. Sie zeigt aber, was für neue Wege möglich sind – und wie schon nur 10 Minuten Pause genügen, um einen politischen Gedanken zu bilden und diesen mit der Schweiz zu kommunizieren.

Ein weitaus zentralerer Aspekt sind die Themen, welche in einem Wahlkampf dominieren – je nachdem welche Themen in den Zeitungen vorkommen und somit wohl auch in der Bevölkerung diskutiert werden, haben die Parteien eine andere Aufmerksamkeit. Aus diesem Grund werden wir 16 übergeordnete Themen verfolgen und schauen, wie häufig diese im Wahlkampf und seit Beginn des Jahres in den Medien erwähnt werden. Die nächste Grafik zeigt bereits eine erste Auswertung von drei zentralen Themen (oder nicht).

Während das Klimathema klar dominiert – entsprechend der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit für die Klimakrise und die «Fridays for future» - hat das EU-Thema seit dem Sommer an Zugkraft verloren. Spätestens nach der Abstimmung zum Waffenrecht und somit der Frage nach der Weiterführung des Schengen-Vertrages ist das Thema weniger dominant. Auch ein anderes Thema, das beispielsweise 2015 den Wahlkampf bestimmt hat, mag dieses Jahr nicht recht anziehen: Migration und Asyl. Gerade die SVP hat dadurch Probleme im Wahlkampf, da ihre zwei Hauptthemen nicht ziehen und ihr nicht die gewünschte Aufmerksamkeit schenken. In diesem Kontext kann auch das neue Inserat/Plakat mit dem Apfel verstanden werden: die Aufmerksamkeit zurückzuerobern, oder es zumindest probieren.

Team und Partner

Hinter dem Projekt steckt ein Team des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Zürich, unter der Leitung von Prof. Dr. Fabrizio Gilardi und Prof. Dr. Lucas Leemann. Alle weiteren Infos zum Team finden sich auch hier.

Dieses Projekt wäre nicht möglich ohne die Unterstützung von verschiedenen Seiten. Das Digital Democracy Lab ist ein Projekt des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Zürich und Teil der Digital Society Initiative der Universität. Finanziert wird das Projekt in einer Pilotphase vom Schweizer Nationalfonds SNF. Bei der Infrastruktur können wir auf die Unterstützung der Science IT (S3IT) der Universität Zürich zurückgreifen. Für Daten und Datensammlungen bedanken wir uns bei der Schweizer Mediendatenbank SMD (Zugang zu Volltexten während dem Wahlkampf), dem Année Politique Suisse (Klassifizierte Medientexte als Trainingset), Smartvote (Listen der Kandidierenden), und dem Forschungsinstitut für Öffentlichkeit und Gesellschaft fög bei der Zusammenarbeit mit Kandidierendenprofilen und Medientexten. In Zusammenarbeit mit Selects, der Schweizer Wahlstudie, erarbeiten wir die Medienanalyse der Wahlen 2019.